Eiaufschlagplatz, der

Jede Bäckerei hat einen. Zumindest jeder Kuchenbäcker. Für den Privathaushalt sind andere Eiaufschlaghygienemaßnahmen angezeigt.

 

(Den Eiaufschlagplatz hat vilmoskörte bei bakingsandra gefunden und mir geschenkt.)

Some nations

16. Juni 2013

Seiden

Der Tag der offenen Tür in Botschaften, Kulturinstituten und Vertretungen – er nennt sich All Nations Festival und hat sich dieses Jahr den Aberglauben zum Thema genommen – ermöglichte Einblicke in das jeweilige Selbstbild einzelner Staaten. Die Botschaften und Kulturinstitute machten sich schick. Uneingedenk politischer Präferenzen und Bedenklichkeiten nahmen wir Einladungen wahr und stromerten durch die Stadt und die Welt, wie sie sich in ihren Berliner Exklaven zu zeigen beliebte.

China bot Yue-Opern, Teeeier, Kunst in Seide und haarfeine Stickereien,

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Korea professionelle PR, die Erinnerung an deutsches Ersatzkimchi und neben Bulgogi und echtem jungen Kimchi Unterricht im Hangeul-Alphabet und die Angst vor der Vier,

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Hangeul

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Indonesien den kulinärischen Himmel, Kleinmädchentanz, Gamelankurse und Streuartikel als Give aways,

kulinärisches Indonesien

der Jemen viel Süßes, restauriertes Holz im Jemen-Report der Deutsch-Jemenitischen Gesellschaft und überaus köstlichen Kaffeeschalentee

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und Guinea-Bissao einen auskunftsfreudigen Märchenerzähler als Botschafter, den keine Frage zu seiner Heimat in Verlegenheit brachte und der zum Gruppenfoto unter der Landesflagge bat.

Guinea-Bissao in Berlin

Mehr Welt haben wir nicht geschafft.

Der Löffel ist unter die Trüffeln gefallen. Zwar sind es nur die aus dem späten Sommer im Tricastin, auf der Domaine de Bramarel von einem milden Labrador für seinen Herrn gejagt, dafür sind es Unmengen. Dem Löffel wird fast schlecht davon.

Das Tricastin kennt man nicht nur als Landschaft der Weingüter und trüffelbeherbergenden Eichenhaine, sondern vor allem wegen des größten Kernkraftwerks der Welt. Es ist eines von 14 an den Ufern der Rhone, und neben Cruas das zweite in dieser wundervollen Gegend.

Wenn der Löffel sich hier eine Kategorie suchen soll, dann kann es nur „weltbekannt“ sein. Etwas ketzerisch, gewiß, aber die französischen Atomkraftwerke sind nun einmal weltbekannt, und Tricastin ist es seit letztem Sommer erst recht. Natürlich ist es nicht auf dem Foto abgebildet. Erstens ist es nicht unbedingt hübsch, zweitens, wer will schon mit Fotos von Atomkraftwerken behelligt werden, drittens steht seine Größe in keinem Verhältnis zu der des Löffels und viertens, wer weiß, hätte vielleicht der Löffel zu früh den Löffel abgegeben, wenn er zu sehr auf Tuchfühlung gegangen wäre. So müssen also stellvertretend für das Atomkraftwerk die unschuldigen Trüffel posieren. Schließlich sind sie aus dem Tricastin (und haben hoffentlich nicht zu viel abbekommen von ihrem berühmten Nachbarn).

Arthurs Tochters Löffels Reise begann hier und endet da noch lange nicht.

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Auch ein Schicksal. Der Löffel klopft an die Tür, und keiner macht auf.

Es ist Herbst, er klopft, erst so herum, dann so herum …  Aber keiner macht auf.

Arthurs Tochters Löffels Reise begann da und endet hier noch lange nicht.

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Linsen holen

20. Juli 2011

Ich war mal eben Linsen holen, in Castelluccio, die besten Linsen der Welt.

Unterwegs hab ich einen Fuchs getroffen, bin über unzählige Fliesen gegangen, hab kryptische Zeich(nung)en gefunden, eine Rose geschenkt bekommen, bei Ida auf dem Collaccio Linsensuppe gegessen und Enzo in Saccovescio besucht.


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Zwei Linsen wohnen in einer Schote. Der Gummibärchenforderung gegen die Massentierhaltung und für den Zweierpack wäre damit genüge getan.

Ganz unscheinbar wachsen sie, zwischen Gras und oft auch bunten Blumen, Mohn, Kornblumen und sonst noch was, auf steinigem Grund in fast 1500 Metern Höhe, in Gegenden mit kalten Nächten.

In Italien serviert man Linsen zum Jahreswechsel, als Ritual, das den Geldsegen fürs kommende Jahr beschwören soll. In den Sibillinischen Bergen, wo sie zu Hause sind, stehen diese Linsen nicht nur an Silvester auf der Karte. Linsensuppe gibt es das ganze Jahr über. Ich habe sie bei brüllender Hitze bekommen, keine zehn Kilometer, naja, vielleicht zwanzig, oder doch eher dreißig? von der Stelle entfernt, wo der Linsenschatz wächst.

Und ich bekam auch das Rezept dazu, allerdings nur unter einer Bedingung. Wir mussten versprechen, nicht direkt nach Süden weiterzufahren, sondern einen Umweg zu machen über das Piano Grande, die Hochebene von Castelluccio. Mein Dank an Ida: für die Suppe, für das Rezept und für das Versprechen, das sie uns abgenommen hat. Sonst hätte ich niemals diese atemberaubende Landschaft kennengelernt.

Seither ist Castelluccio einer der magischen Orte auf unserer Italien-Landkarte. Ich habe seine Hänge mit und ohne blühende Linsenfelder gesehen. Ich habe gesehen, wie das Örtchen im Laufe der Jahre immer touristischer wurde. Und ich bin nie abgereist, ohne einen Linsenvorrat mitzunehmen: kiloweise die besten Linsen der Welt.

Die ultimative Linsensuppe ist mal wieder sowas von einfach, dass sie kaum als Rezept zählt. Sie beginnt nicht einmal, wie bei italienischen Gerichten sonst üblich, mit einem Soffritto. Was sie so unvergleichlich macht, sind die Linsen, aus denen sie gekocht ist, die umbrischen Berglinsen, klein, rund und bunt: le lenticchie di Castelluccio di Norcia.

Für zwei Personen braucht man:

ein bis zwei handvoll Linsen
eine Stange Sellerie
eine Möhre
Salz
(und für mich, weil ich es meist doch nicht lassen kann, ein Lorbeerblatt)

Olivenöl
Knoblauch
Peperoncino
Tomatenmark

Die Suppe geht so:

Die gewaschenen Linsen in kaltem Wasser aufsetzen, zusammen mit 30 cm Staudensellerie und einer Möhre, ganz oder in groben Stücken, und in dreißig bis vierzig Minuten garkochen. Ich salze schon am Anfang. Es ist nicht nötig, die Linsen vorher einzuweichen. Waschen sollte man sie schon und vor allem nach Steinchen absuchen.

Nebenher erhitzt man in einem Töpfchen Olivenöl, lässt feinstgeschnittene Knoblauchwürfelchen darin angehen. Dazu kommen zwei bis drei Esslöffel Tomatenmark, das soll im Knoblauchöl rösten, bis es einen Karamellton bekommt, und ein mit grobem Salz gemörserter Peperoncino (oder zwei).

Zwei Drittel der Linsen werden mit etwas Kochwasser püriert und mit der Öl-Knoblauch-Peperoncino-Tomaten-Würze in den Topf zurückgegeben, wo sie noch ein bisschen ziehen dürfen, damit sich die Aromen verbinden.

Auf dem Teller kommt kaltes Olivenöl über die Suppe, olio a crudo.
Geröstetes Weißbrot passt dazu.

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Le lapin de métro

19. Januar 2011

Besser nicht zum Vorbild nehmen, das Häschen aus dem Pariser Untergrund.
Mehr dazu bei vilmoskörte.

Es geht auch ohne Métro.

Le lapin du Virchow.

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Und noch ein für Qype geschriebener Beitrag, diesmal aus dem März 2010:

Es ist ein paar Jahre her, dass ich hier zu Gast war, und vieles habe ich vergessen, das meiste vielleicht, außer dass wir in einer kaminbeheizten Stube saßen, in Sessel und Sofa, die den Tisch über sich hinauswachsen ließen, dafür warm und geborgen nach einem stürmischen Tag mit Regen und Wind im Gesicht. Die Kaffeezeit war längst vorüber, trotzdem, da das Restaurant nebenan ausgebucht war, wurden wir in dieser engen, muckeligen Kaffeestube bedient. Das Feuer wurde am Brennen gehalten, immer mal wieder ein Holzscheit nachgelegt, und man klärte uns nach bestem Vermögen über die Speisekarte auf. Ich habe keine Erinnerung daran, was alles auf den Tisch kam, wie lang wir da saßen und wann es überhaupt war. Nur, dass es das beste Essen in ganz Polen war, das ich je bekam, das weiß ich noch.

Und warum genau es so ein herausragendes kulinarisches Erlebnis war, das weiß ich auch noch – und werde es nie vergessen: Es gab Dorschzungen. Kleine Häppchen in würziger Panade. Ei war zu schmecken drumherum, Brösel, vermutlich spielte gemahlener Kümmel mit. Und damit war einer meiner kulinarischen Träume geboren. So sehr Traum, dass, wann immer ich von diesen überwältigenden Dorschzungen im Maszoperia in Hel auf der Halbinsel Hel erzählte, man mich erst fassungslos anstarrte und dann die Augen senkte, als wolle man den Zweifeln an meinem Verstand nicht allzu deutlich Ausdruck verleihen.

Bis ich irgendwann selbst daran zu zweifeln begann. Ob ich auch alles richtig verstanden hatte, was mir da wohl wirklich vorgesetzt worden war, ob man Dorschzungen überhaupt essen könne, und schließlich, ob ein Dorsch überhaupt eine Zunge hat.

Die Befreiung kam vor ein paar Wochen, arte sei Dank, oder war es mare TV? Da wurde vom äußersten Norwegen berichtet, von Gegenden, knapp nicht aus der Zeit gefallen, einsam, fern, sehr fern, ganz weit oben. Und plötzlich fiel das Wort Dorschzunge – ich war wie elektrisiert. Ja, es gibt sie, ja, auch die Norweger essen sie. (Sie dem Kabeljau aus dem Maul zu schneiden, erfordert zwei Handgriffe und ist erklärte Kinderarbeit.)

Meine kaschubische Erinnerung war gerettet, ich beschloss wieder anzufangen, darüber zu sprechen, über mein kulinarisches Abenteuer am östlichsten Zipfel dieses Sandstreifens Hel, der selber schon so faszinierend wie unglaubwürdig ist.

Reisende, geht ins Maszoperia und fragt nach Dorschzungen! Ich hoffe, es gibt sie noch.

Maszoperia
ul. Wiejska 110
84-150 Hel
+48 58 6750297

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Unstäte, die.

Doch, das Wort gibt es. Ich fand es im neuen Spielzeitkalender des Maxim Gorki Theaters und schüttelte erst den Kopf, hielt ich es doch für eine weitere, von der unglückseligen Rechtschreibreform inspirierte Entgleisung, um dann in Bewunderung zu verfallen ob dieser kreativen Wortschöpfung, die sich tatsächlich selbst erklärt.

Wortschöpfung? Denkste, Puppe! Es gibt sie seit dem Mittelalter, die Unstäte. Auch der Wahrig kennt sie und bezeichnet sie als poetisch und unzählbar (nein „unz.“ heißt nicht unzeitgemäß). Es gibt also keine zwei drei vier Unstäten, ebensowenig wie es zwei drei vier Butter, Mehl und Zucker gibt, Buttersorten schon, Zuckersorten auch … Unzählbar? Dabei bin ich immer davon ausgegangen, bis eins zählen wäre auch zählen.

Im Adelung (dem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, einzusehen bei Zeno) dagegen hat die Unstäte wohl einen Plural und ist ein Ort, zum Beispiel „in dem Aberglauben des großen Haufens, ein aus verborgenen Ursachen unsicherer oder gefährlicher Ort, wo jemanden ein Unheil widerfähret.“ Auch kann man da „über eine Unstäte gehen“.

Als adjektiv ist unstät – wen wundert’s – „der Gegensatz von stät“ und „auf eine fehlerhafte Art beweglich, unruhig, keine lange Dauer an einem Orte habend, ingleichen unbeständig, und darin gegründet.“

Zurück zum Ausgangspunkt: Armin Petras und Nina Rühmeier lassen sich von John Steinbecks Früchte des Zorns zur Beschäftigung mit „den Auswirkungen einer globalen Wirtschaftsdepression auf den einzelnen Menschen“ führen und zur Frage „Wie konsistent ist ein Lebensentwurf angesichts der Unstäten des Kapitalismus?“

Festhalten lässt sich auf jeden Fall: Als das unstete Wesen oder Verhalten der Dinge führt die Unstäte zwangsläufig zu Unwägbarkeiten.

Wandelstern, der.

Vielleicht auch auf dem Mars, vielleicht auch hinterm Mond, eins aber ist sicher: Wir leben auf einem Wandelstern.

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