Das Wort für heute: Unstäte
7. August 2010
Unstäte, die.
Doch, das Wort gibt es. Ich fand es im neuen Spielzeitkalender des Maxim Gorki Theaters und schüttelte erst den Kopf, hielt ich es doch für eine weitere, von der unglückseligen Rechtschreibreform inspirierte Entgleisung, um dann in Bewunderung zu verfallen ob dieser kreativen Wortschöpfung, die sich tatsächlich selbst erklärt.
Wortschöpfung? Denkste, Puppe! Es gibt sie seit dem Mittelalter, die Unstäte. Auch der Wahrig kennt sie und bezeichnet sie als poetisch und unzählbar (nein „unz.“ heißt nicht unzeitgemäß). Es gibt also keine zwei drei vier Unstäten, ebensowenig wie es zwei drei vier Butter, Mehl und Zucker gibt, Buttersorten schon, Zuckersorten auch … Unzählbar? Dabei bin ich immer davon ausgegangen, bis eins zählen wäre auch zählen.
Im Adelung (dem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, einzusehen bei Zeno) dagegen hat die Unstäte wohl einen Plural und ist ein Ort, zum Beispiel „in dem Aberglauben des großen Haufens, ein aus verborgenen Ursachen unsicherer oder gefährlicher Ort, wo jemanden ein Unheil widerfähret.“ Auch kann man da „über eine Unstäte gehen“.
Als adjektiv ist unstät – wen wundert’s – „der Gegensatz von stät“ und „auf eine fehlerhafte Art beweglich, unruhig, keine lange Dauer an einem Orte habend, ingleichen unbeständig, und darin gegründet.“
Zurück zum Ausgangspunkt: Armin Petras und Nina Rühmeier lassen sich von John Steinbecks Früchte des Zorns zur Beschäftigung mit „den Auswirkungen einer globalen Wirtschaftsdepression auf den einzelnen Menschen“ führen und zur Frage „Wie konsistent ist ein Lebensentwurf angesichts der Unstäten des Kapitalismus?“
Festhalten lässt sich auf jeden Fall: Als das unstete Wesen oder Verhalten der Dinge führt die Unstäte zwangsläufig zu Unwägbarkeiten.
7. August 2010 at 14:00
Das ist ein gutes, notwendiges Wort. Kommt, wenn man von »griesgrämig« über »Verdruß« noch ein Stückchen an »unwirsch« und den »Unbillen« vorbeigeht. Kurz vor »hochnotpeinlich«.
7. August 2010 at 14:46
Hm?
Die Unbillen lasse ich dir aber nicht durchgehen. Unbill ist unzählbar, im Plural gibt es die Unbilden, aber die bedeuten etwas ein klein wenig anderes. Wobei in beiden Formen „bild“ drinsteckt, frag mich nur nicht, in welcher Bedeutung.
7. August 2010 at 15:10
Wah, erwischt. Zeitläufte, Teelichte, Unbilden. Wie kann ich bloß Abbitte leisten?!
7. August 2010 at 15:37
Statt Abbitte zu leisten könntest du mir weiterhin so schöne Wörter schenken wie Leibgericht oder Boulogymnastik oder Abbitte.
7. August 2010 at 15:00
Wobei unstät und unstet eine Bedeutung haben, nicht jedoch, nach Deinen Ausführungen die Unstäte und die Unstete?
Ich bin leicht verwirrt.
7. August 2010 at 15:27
Entschuldige meine verwickelten Sätze, die alten Nachschlagewerke verführen mich dazu.
Unstete als Substantiv gibt es meines Wissens nicht, eine Unstäte bezeichnet noch im 18. Jh. einen verwunschenen und deshalb unsicheren Ort. Heute hat es in etwa die Bedeutung von Unstetigkeit, Unbeständigkeit.
7. August 2010 at 20:30
Mir fiel noch etwas ein dazu: Geld sollte auch „unz.“ sein wie Mehl. Da man es jedoch zählen kann, fühlt sich jedermann berechtigt, Gelder zu sagen oder zu schreiben, auch die, die es besser wissen müssten.
16. August 2010 at 18:27
In der Finanzwelt kommt das wohl daher, dass man das Geld manchmal als Posten sehen muss, im Gegensatz zu anderen üblen Gesellen, wie Aktien, Fonds und Rentenzeugs.
Ein ähnliches Problem gibt es mit der Mehrzahl des Datums in der EDV. Da kommt es mit „Daten“ zu heillosen Verwirrungen, ergo greift die pragmatische Programöse zu dem hässlichen, aber verständlichen Wort Datümer. (Sofern sie ein grammatikalisches Gewissen hat, peitscht sie sich pro Anwendung nach Feierabend zur Buße aus)
7. August 2010 at 21:08
Wunderbar, das unzählbare Geld!
In manchen Haushalten auch unz. wie Heu.
8. August 2010 at 11:36
Und dann gibt es noch überabzählbar unendlich. Wie sich das in Geld ausdrückt, weiß ich nicht; kann es mir aber vorstellen. Nein, halt, das kann man sich natürlich nicht vorstellen!
9. August 2010 at 00:06
Afra, Du machst mich fertig. Ich wusste das mit der Unstäte. Was ja schon mal nicht wirklich sein kann. Es war aber tatsächlich so, dass die Mutzi das mit der Unstäte gelesen und dann nachgeschlagen oder erklärt bekommen hat. Die Mutzi weiß es nicht, wo das war mit der Unstäte und findet es auch nicht wieder und wird langsam wuschig und muss jetzt alles wieder lesen.
Irgendwo in einem soliden Stück deutscher Klassik, mit der die Mutzi es nun wirklich nicht übertrieben hat, steht die Unstäte. Ich kann mich nur beim besten Willen nicht erinnern wo.
9. August 2010 at 11:06
Ich bin beeindruckt. Waschfrauen sind eben für jede Überraschung gut, aber das weiß man ja seit Anna Livia Plurabell.