Der Löffel war auf einem stattlichen Anwesen zum Picknick unter Platanen geladen. Was heißt, geladen. Er wurde mitgenommen. Das Château de la Croix Chabrières hatte es ihm angetan: mit seinem flatternden Licht und dem Wind, der die Mittagshitze kühlte und den mehr als ein Jahrhundert alten Bäumen ein Sturmrauschen entlockte, obwohl er gar nicht so heftig wehte.

Das Weingut sitzt zwischen allen Stühlen. Es ist ein Kind der Grenze und hat Anteil an: zwei Regionen, zwei Départements, zwei Gemeinden und zwei Anbaugebieten.

So werden auf La Croix Chabrières Weine verschiedener Appellations gekeltert: zum einen Côtes du Rhône, aber auch Coteaux du Tricastin, wobei es Coteaux du Tricastin nur noch in älteren Flaschen gibt. Wegen der kompromittierenden Reaktoren gleichen Namens ganz in der Nähe mussten die Weinbauern erhebliche Verkaufseinbußen hinnehmen. 2010 haben sie es geschafft, eine Umbenennung durchzusetzen: Ein Coteaux du Tricastin heißt jetzt Grignan-les-Adhémar.

Den Löffel interessierte das weniger. Schon eher die Erntemaschine auf dem Feld (hier wird nicht von Hand gelesen), die an den Weinstöcken rüttelt und der diese wunderschöne Smaragdeidechse zum Opfer fiel, und der lärmende Entrapper.

Er musste aufpassen, nicht in die Schraube zu kommen …

… oder im Trester verschütt zu gehen …

… oder ins Gärfass zu rutschen …

oder der Rache eines Messers zum Opfer zu fallen.

Er erfreute sich am Ton in Ton mit den Korken …

… neuen und alten…

und den platten Kartons, die den Flaschen gehören.

Leider hatte er den Korkenzieher vergessen …

… und so blieb er ganz und gar nüchtern.

Trotzdem ist die Welt voller Gefahren, und sei es, von einem Regenrinnenmonster in die Unterwelt gespuckt zu werden.

Arthurs Tochters Löffels Reise begann hier.

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Der Löffel ist unters Messer geraten. – Ja, hört das denn niemals auf, dieses Fallbeilschwingen? Offenbar nein. Nicht in Frankreich, dem Land der Guillotine. Tradition ist schließlich Tradition!

Auch im F.I.E.F., dem Foyer International d’Études Françaises, steht eine Guillotine – zum Baguettehacken. Und unter deren Messer fand sich der Löffel wieder.

Das Foyer, in dem solch martialische Tischsitten herrschen, hat seinen Sitz im ehemaligen Pfarrhof von Châteauneuf-de-Mazenc und ist – gegründet 1956 von Ernest Jouhy/ursprünglich Ernst Jablonski, einem deutschen Exilanten und Widerstandskämpfer – eine internationale Begegnungsstätte. Die Guillotine spielt hier, außer bei Tisch, keine Rolle. Was dagegen an Traditionen hochgehalten wird, sind neben gutem Essen und französischem Savoir vivre vor allem die Traditionen der Résistance. Nicht nur der militärische Widerstand interessiert, sondern endlich auch der zivile. Historiker wie Bernard Delpal im Verein Patrimoine Mémoire et Histoire du Pays de Dieulefit kümmern sich um „die andere Résistance“.

Nicht weit von hier, im unzugänglichen Vercors, einem Zentrum des bewaffneten Widerstands, fanden im Juli 1944, nach der Ausrufung der Freien Republik des Vercors, Massaker an Résistants und Zivilbevölkerung statt. Die deutschen Besatzer ermordeten wahllos Maquisards und Landbevölkerung und zerstörten Höfe und Dörfer auf der Hochebene. Museen und Gedenkstätten erinnern daran, die Ruinen von Valchevrière ebenso wie das pathetische nationale Denkmal der Résistance in Vassieux.

Ganz in der Nähe fand aber auch das „Wunder von Dieulefit“ statt, ein „Wunder des Stillschweigens und der Solidarität“. Es verdankte sich nicht nur der Gemeindesekretärin Jeanne Barnier, einer virtuosen Passfälscherin, und den drei Leiterinnen der reformpädagogischen Internatsschule von Beauvallon, sondern all den Bewohnern von Stadt und Ländchen Dieulefit, die ohne Ausnahme die unzähligen Flüchtlinge schützten. Nicht einer wurde denunziert. Es hat lange gedauert, bis auch die „stillen Helden“ ins Blickfeld der Historiker kamen.

Arthurs Tochters Löffel hat viel gelernt in der Drôme. Seine Reise begann hier, und er findet sich „verrückt“. Und hier kommt das Foto, mit dem er sich bewirbt.

Eigentlich wollte der Löffel noch nach Paris, um sich mit der Entenpresse von Dehillerin anzulegen. Doch die Erfahrung mit der Guillotine hat ihn einigermaßen gefügig gemacht, und er reiste brav über Lyon und Basel zurück nach Berlin. Als er dann in seiner Schublade, immerhin neben einem kleinen Dehillerin-Messer, zur Ruhe kam, hatte er schon alles vergessen: die Entenpresse, das Gläschen Crémant de Die, die Smaragdeidechse, die Entrappungsmaschine, Weinkorken und Flaschenlager, die Kernkraftwerke entlang der Rhone und seine kleine Ohnmacht in der Trüffelschublade.

Ein Löffel geht auf die Reise. Verrückt. Weltbekannt. Prominent.

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Der Löffel ist unter die Trüffeln gefallen. Zwar sind es nur die aus dem späten Sommer im Tricastin, auf der Domaine de Bramarel von einem milden Labrador für seinen Herrn gejagt, dafür sind es Unmengen. Dem Löffel wird fast schlecht davon.

Das Tricastin kennt man nicht nur als Landschaft der Weingüter und trüffelbeherbergenden Eichenhaine, sondern vor allem wegen des größten Kernkraftwerks der Welt. Es ist eines von 14 an den Ufern der Rhone, und neben Cruas das zweite in dieser wundervollen Gegend.

Wenn der Löffel sich hier eine Kategorie suchen soll, dann kann es nur „weltbekannt“ sein. Etwas ketzerisch, gewiß, aber die französischen Atomkraftwerke sind nun einmal weltbekannt, und Tricastin ist es seit letztem Sommer erst recht. Natürlich ist es nicht auf dem Foto abgebildet. Erstens ist es nicht unbedingt hübsch, zweitens, wer will schon mit Fotos von Atomkraftwerken behelligt werden, drittens steht seine Größe in keinem Verhältnis zu der des Löffels und viertens, wer weiß, hätte vielleicht der Löffel zu früh den Löffel abgegeben, wenn er zu sehr auf Tuchfühlung gegangen wäre. So müssen also stellvertretend für das Atomkraftwerk die unschuldigen Trüffel posieren. Schließlich sind sie aus dem Tricastin (und haben hoffentlich nicht zu viel abbekommen von ihrem berühmten Nachbarn).

Arthurs Tochters Löffels Reise begann hier und endet da noch lange nicht.

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Auch ein Schicksal. Der Löffel klopft an die Tür, und keiner macht auf.

Es ist Herbst, er klopft, erst so herum, dann so herum …  Aber keiner macht auf.

Arthurs Tochters Löffels Reise begann da und endet hier noch lange nicht.

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Arthurs Tochters Löffel geht zum Zahnarzt. Genauer: zu Andrea-Maria Sistori, die nicht nur eine hervorragende Zahnärztin ist, sondern neben vielem anderen auch mit reichlich Humor gesegnet. Er durfte beim Operationsbesteck liegen, mit Mundwassern flirten, mit diversen Zahnbürsten in Konkurrenz treten und zwischen Kiefern posieren.

Der Löffel beißt sich durch. Denkt er. Offenbar hat er da etwas falsch verstanden. Hoffentlich überlebt er es.

Zwar haben Zähne durchaus mit Essen zu tun, dennoch ist die Kategorie, in der der Löffel hier antritt, die der unerwarteten Begegnungen, also „verrückt“.

Arthurs Tochters Löffels Reise begann hier und endet da noch lange nicht.

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