Dorschzungen in Hel auf Hel
10. Januar 2011
Und noch ein für Qype geschriebener Beitrag, diesmal aus dem März 2010:
Es ist ein paar Jahre her, dass ich hier zu Gast war, und vieles habe ich vergessen, das meiste vielleicht, außer dass wir in einer kaminbeheizten Stube saßen, in Sessel und Sofa, die den Tisch über sich hinauswachsen ließen, dafür warm und geborgen nach einem stürmischen Tag mit Regen und Wind im Gesicht. Die Kaffeezeit war längst vorüber, trotzdem, da das Restaurant nebenan ausgebucht war, wurden wir in dieser engen, muckeligen Kaffeestube bedient. Das Feuer wurde am Brennen gehalten, immer mal wieder ein Holzscheit nachgelegt, und man klärte uns nach bestem Vermögen über die Speisekarte auf. Ich habe keine Erinnerung daran, was alles auf den Tisch kam, wie lang wir da saßen und wann es überhaupt war. Nur, dass es das beste Essen in ganz Polen war, das ich je bekam, das weiß ich noch.
Und warum genau es so ein herausragendes kulinarisches Erlebnis war, das weiß ich auch noch – und werde es nie vergessen: Es gab Dorschzungen. Kleine Häppchen in würziger Panade. Ei war zu schmecken drumherum, Brösel, vermutlich spielte gemahlener Kümmel mit. Und damit war einer meiner kulinarischen Träume geboren. So sehr Traum, dass, wann immer ich von diesen überwältigenden Dorschzungen im Maszoperia in Hel auf der Halbinsel Hel erzählte, man mich erst fassungslos anstarrte und dann die Augen senkte, als wolle man den Zweifeln an meinem Verstand nicht allzu deutlich Ausdruck verleihen.
Bis ich irgendwann selbst daran zu zweifeln begann. Ob ich auch alles richtig verstanden hatte, was mir da wohl wirklich vorgesetzt worden war, ob man Dorschzungen überhaupt essen könne, und schließlich, ob ein Dorsch überhaupt eine Zunge hat.
Die Befreiung kam vor ein paar Wochen, arte sei Dank, oder war es mare TV? Da wurde vom äußersten Norwegen berichtet, von Gegenden, knapp nicht aus der Zeit gefallen, einsam, fern, sehr fern, ganz weit oben. Und plötzlich fiel das Wort Dorschzunge – ich war wie elektrisiert. Ja, es gibt sie, ja, auch die Norweger essen sie. (Sie dem Kabeljau aus dem Maul zu schneiden, erfordert zwei Handgriffe und ist erklärte Kinderarbeit.)
Meine kaschubische Erinnerung war gerettet, ich beschloss wieder anzufangen, darüber zu sprechen, über mein kulinarisches Abenteuer am östlichsten Zipfel dieses Sandstreifens Hel, der selber schon so faszinierend wie unglaubwürdig ist.
Reisende, geht ins Maszoperia und fragt nach Dorschzungen! Ich hoffe, es gibt sie noch.
Maszoperia
ul. Wiejska 110
84-150 Hel
+48 58 6750297
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10. Januar 2011 at 14:51
Es gibt schon schlimme Dinge. Wie schmecken wohl Engelszungen?
10. Januar 2011 at 18:02
Engelszungen sind ein ganz anderes Kaliber.
Heute haben mir aus dem Supermarktregal Katzenzungen zugewinkt.
11. Januar 2011 at 04:06
Es gibt Lieblingsformulierungen. „Von Gegenden, knapp nicht aus der Zeit gefallen“ ist eine davon. Hätte mir jemand anders von Dorschzungen erzählt, hätte ich wohl gedacht, was für eine Spinnerei.
11. Januar 2011 at 10:55
Nachtigallenzungen! Otternasen! Ob Fische überhaupt Zungen haben — vor Deinem Beitrag hätte ich es verneint.
(Jetzt muß ich ein bißchen darüber nachdenken, was — oder wie — wohl das Zünglein an der Waage schmeckt.)
11. Januar 2011 at 13:54
@ oachkatz @ Lakritze
Ich hab doch selbst nicht mehr daran geglaubt, obwohl ich sie gegessen hatte. Dachte, vielleicht sind es Bäckchen oder was auch immer. Bis ich diesen Filmbericht gesehen habe, war ich sicher, Fische hätten keine Zungen. Wider besseres Wissen.
Vor dem Zünglein an der Waage kann ich nur warnen. Bloß nicht dran lecken! Sonst klebt Zunge an Zünglein, zumindest bei Minusgraden.
11. Januar 2011 at 21:43
Minusgrade? Haben wir hier nicht. Vorgestern nacht habe ich den ersten Igel gesehen, frisch aus dem Winterschlaf erwacht.
11. Januar 2011 at 22:14
Dann ist vielleicht der Herr Igel das Zünglein an der Waage, und der Winter hat ausgespielt. Aber auch im Igelfalle warne ich vor dem Zünglein.