Das Wort für heute: Bäckerlyrik
11. Juni 2013
Bäckerlyrik, die
vorgeblicher Fachbegriff, tatsächlich despektierliche, im Geheimen auch schon mal liebevoll gemeinte Bezeichnung für ein Phänomen, das den zweifelhaften Ruf der BVG-Werbedichtung à la „Wurst und Senf in Bahn und Bus bringen oftmals viel Verdruss“, die spätestens in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in voller Blüte stand, wenn nicht begründete, so doch entscheidend mitprägte.
Nachdem sie in Form von Paechbrotsprüchen in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Selbständigen politischen Einheit Westberlin einen rasanten Aufschwung erlebt hatte, omnipräsent, belächelt, verachtet, indes beim besten Willen nicht zu ignorieren, stattdessen den damaligen Bewohnern und Besuchern der Stadt unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt, wurde es in den 90er Jahren still um die Bäckerlyrik. Zusammen mit dem Untergang des Moabiter Paech-Brotimperiums ging sie den Weg alles Irdischen, und die Welt musste fortan auf Juwelen wie „Kuno sprach zu Kunigunde: Paechbrot ist in aller Munde“ verzichten.
Doch nun, Hurra, neues Jahrhundert, neues Glück. Es gibt sie wieder, die Bäckerlyrik. Wieder in Berlin, der inzwischen nicht mehr doppelten, sondern ganzen Stadt, wieder bei der BVG, sprich den Berliner Verkehrsbetrieben, diesmal statt in den seltener gewordenen Doppeldeckerbussen in der U-Bahn, wieder einem Brot gewidmet, einem aus dem Speckgürtel.
Die neue Bäckerlyrik besingt das Falkenbrot, Flaggschiff des ursprünglich Westberliner, dann, nachwendig, in der Falkenseer Produktionsstätte eines ehemaligen Backkombinats heimisch gewordenen BioBackHauses Leib. Nein, nicht Laib, Leib.
Die mal mehr, mal weniger überzeugenden Elaborate der neuen Berliner Bäckerlyrik – wer Bäckerlyrik liebt, wird sie wohl alle lieben – fahren also seit knapp zwei Jahren U-Bahn und verkünden Dinge wie in etwa:
Ein Mann zur Liebsten sagte: Bleib!
Ich habe einen Falkenlaib.
Enthusiasten lassen sich zu Begeisterungsstürmen über das Wiederaufleben der Brotdichtung hinreißen, Skeptiker analysieren mit spitzer Feder und weisen auf unzählige grammatikalische und stilistische Mängel hin, viele schütteln einfach den Kopf.
Es wird Ihnen, liebe Leser, trotz aller Bemühungen um Objektivität nicht verborgen geblieben sein, die Autorin gehört entschieden zu den Liebhabern und kann nicht umhin zu wiederholen: Ein Hoch auf die neue Berliner Bäckerlyrik! Möge ihr ein langes und fruchtbares Leben beschieden sein.
Noch eine kleine Anmerkung in eigener Sache sei gestattet: Natürlich weiß ich, Flaggschiffe entstammen Werften, und eine Werft bringt kein Brot hervor. Nur, wie sonst es nennen, das Flaggschiff eines Backwarenuniversums?
11. Juni 2013 at 13:45
Ah, endlich kriege ich sie auch zu sehen!
11. Juni 2013 at 14:21
Du musst einfach mal wieder kommen. Die ganze Stadt hat Sehnsucht nach Dir.
11. Juni 2013 at 13:52
Zum freudigen Fahrgast, da gibt es auch was …
11. Juni 2013 at 14:20
Scheint kult. Danke für den Link!
11. Juni 2013 at 15:43
In das Hoch stimme ich vollkehlig ein! Daß das Backwerk ein Gedicht ist, setze ich stillschweigend voraus.
(Hier, am anderen Ende der Republik, haben sie’s leider nicht so mit der Bäckerlyrik.)
11. Juni 2013 at 16:40
Das Backwerk ist tatsächlich mein Lieblingsbrot, in der von gutem Brot nicht gerade verwöhnten Hauptstadt.
11. Juni 2013 at 15:50
Am 12. Mai gab es im Tagesspiegel diese Brot-und-Lyrik-Bewertung von Bernd Matthies:
»Falkenbrot: Für dieses Brot wird sogar mit Reimen geworben. „Im Picknick-Korb/kein Falkenbrot?/Da sieht selbst Tante Betti rot.“ Ich erwähne das nur, weil es deshalb von irgendwelchen Paech-Brot-Taliban in den Schmutz gezogen wird, als sei so etwas nun auf ewig verboten. Mir egal. Das Brot aber nicht! Das Falkenbrot ist ein saftiges Roggen-Weizen-Mischbrot mit Sauerteig, das laut Deklaration einen Anteil „Röstbrot“ enthält, was den betont kräftigen Geschmack erklärt. Schmeckt am allerbesten solo, nur mit gesalzener Butter der Molkerei Münchehofe. Mit Tomaten? Leberwurst? Toll. Bernd Matthies«
11. Juni 2013 at 18:15
Diese Lyrik und auch das vom Grossbäcker hergestellte Brot geht mir am Schnabel vorbei. Gerne hätte ich weniger Gehbier und weniger Döner in Bus und Bahn.
11. Juni 2013 at 18:18
Aber nein, das Wegbier ist eine kulturelle Institution!
11. Juni 2013 at 19:07
Jeder, wie er mag. Jeder, wie er kann. Jeder, wie er muss.
11. Juni 2013 at 21:45
@Kormoran: Wahrscheinlich stellen Beumer & Lutum wirklich das bessere Vogelfutter her.
12. Juni 2013 at 10:08
Die Dinckel-Seelen am Samstag und das Roggen-Ganzkorn von „Beumer & Lutum“ sind super. Das Pain Bretone schmeckt bei „Soluna“ am Besten. Die Laugenbrezel finde ich von Bäckerei Mann Spitze. Das Berliner Landbrot (Roggenmischbrot) doppelt gebacken schmeckt nur von Fritze.
Brotkunde vom Vogel
12. Juni 2013 at 10:13
Dann muss ich das wohl alles nochmal ausprobieren. Nur, wer ist Fritze?
12. Juni 2013 at 10:21
Bäckerei Fritze, Berlin-Niederschönweide, Oberspreestr. 36, 12439 Berlin, Achtung in Ferienzeiten auch mal länger geschlossen.
14. Juni 2013 at 08:45
Solch Bäckerhopping ist ja nur was für Gourmets mit viel Tagesfreizeit.
Ich hab da auch noch eine Empfehlung, Bäcker Pawlick in der Hauptstraße 30, in Wilhelmsruh. Das Sauerteigbrot ist großartig, das Kilo für 2,30 Euro.
14. Juni 2013 at 09:10
Soviel zur Tagesfreizeit!
14. Juni 2013 at 12:19
Da kenne ich nur das Wort: „Brotzeit“ aber was hat das mit Tagesfreizeit zu tun und wer hat diese tolle Zeit?
22. Juni 2013 at 19:06
Ich mag sie gern, die Lyrik und das Brot, wenn ich auch finde, letzteres ist nicht das einzig Gute in der Stadt. Mir hat es zur Zeit speziell das Brot der Wiener Bäckerei angetan und den Brotgarten und seine Vollkornvarianten ja, sowieso.
23. Juni 2013 at 13:52
Der Brotgarten verkauft seit einiger Zeit auch auf dem Donnerstags-Brandenburg-Markt am Wittenbergplatz. Da kann ich mich mal durchprobieren. (Brotgarten und Biobackhaus kommen ja aus demselben Kindergarten; sie haben in den siebzigern zusammen angefangen, als Kollektiv.)
Wiener Bäckerei aber?
23. Juni 2013 at 21:48
Jetzt hatte ich schon ausführlich geantwortet und ein kleines Gezitter auf der Tastatur hat es zunichte gemacht. Daher die Kurzversion mit der relevanten Information: Wiener Brot, die Holzofenbäckerei von Sarah Wiener. Das Ladengeschäft ist in der Tucholskystraße, aber es gibt verschiedene Verkaufsstellen in der Stadt, in meiner Nähe drei. Und ein Besuch lohnt nicht nur wegen der dunklen Brotsorten, die mich bisher alle überzeugt haben, sondern auch wegen ganz nettem Süßkram wie z.B. einer Art Nußbeugerl. Sogar der geliebte Mann muss zähneknirschend zugeben, dass manches schmeckt, auch wenn der Name Wiener draufsteht …
23. Juni 2013 at 22:04
Ach, Brot von der Frau Wiener. Danke. Da wäre ich nie draufgekommen. Bei Wienerbrot fällt mir sowieso erstmal ein dänisches Gebäck ein.
10. September 2013 at 16:12
»Falkenbrot, des Dichters Tod«
http://www.taz.de/!113991