Grillagetorte
3. April 2011
Meine erste Grillage-Torte war ein Wiedererkennen. Sie ähnelte verblüffend der Torta Meringata, die ich aus dem westlichen Ligurien kannte und mit der man mich einst zum Nachtisch bekehrt hatte. Zu Zeiten, als ich noch rauchte, war sie der einzige Nachtisch, der mein Herz höher schlagen ließ. All die Überzeugungsversuche und Argumentationen, nach einem drei- bis fünfstündigen Abendessen mit alleine 13 verschiedenen Vorspeisen müsste man auch noch ein Dessert zu sich nehmen, und zwar, weil einem dann leichter würde, habe ich jahrelang ignoriert. Bis ich mich zum ersten Bissen Meringata nötigen ließ.
Von da an war alles anders. Ich weigerte mich, in ein Restaurant zu gehen, wo es dieses unbeschreiblich köstliche Halbgefrorene nicht gab, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es tatsächlich stimmt: Nach einem der Völlerei gewidmeten Abend hilft ein süßes Dessert, sich leichter zu fühlen.
Man braucht
6 bis 7 Eiweiß
1 Prise Salz
250 g Zucker plus 2 leicht gehäufte Teelöffel
1 Liter Schlagsahne
100 g gemahlene Haselnüsse
100 g Bitterschokolade
eine Handvoll Schokobohnen.
Die Mutter des Kerls sagt, man soll die Baiserböden schon einen Tag vor dem Zusammenbauen der Torte backen, zur Vermeidung von Stress und damit sie über Nacht so richtig auskühlen und sich festigen können. Also tun wir das. Die Mengenangaben sind für Backformen mit einem Durchmesser von 30 cm ausgelegt. Bei 26-cm-Backformen bekommt man, mit einem Eiweiß mehr, einen dritten Boden raus, den man ohne Bedenken auf die Schokosahne legen kann. :)
Zwei Böden kann man im Umluftherd gut auf einmal backen; eine Form auf der untersten, eine auf der dritten Schiene von unten. Sonst braucht man halt unendlich viel Zeit zum Nacheinanderbacken, dann auf der mittleren Schiene.
Man schlägt das Eiweiß mit einer Prise Salz und 250 g feinem Zucker sehr steif, bis der Eischnee glänzt, verteilt den Schnee gerecht auf die Springformen, die mit Backpapier ausgelegt sind und bäckt die Böden bei 130 °C mit Umluft etwas mehr als zwei Stunden. Über Nacht auskühlen lassen.
Dann macht man drei Sorten Sahne.
Für die erste werden 400 ml Sahne mit 1 Tl Zucker steifgeschlagen und 100 g (nicht zu fein) gemahlene Haselnüsse untergehoben.
Für die zweite ebenfalls 400 ml Sahne mit 1 TL Zucker steifschlagen und zwei Riegel geraspelte Blockschokolade (oder 100 g einer schickeren Bitterschokolade) unterheben.
Die dritte Sahne darf einfach nur Sahne bleiben: 200 ml steifgeschlagen. Wer mag, kann natürlich auch sie süßen.
Vor dem Zusammenbauen kleidet man eine Springform mit Alufolie aus. Die Basis bildet ein Baiserboden, darauf wird die Haselnusssahne verstrichen, dann kommt der zweite Baiserboden mit Schokosahne obendrauf. (Wenn man einen dritten Boden gebacken hat, bildet der jetzt den Deckel.) Die pure Sahne wird glatt über die Oberfläche verstrichen, mit einer Spritztüte werden Kringel aufgespritzt oder Sternchen oder Häufchen, wie auch immer, die mit je einer schokolierten Kaffeebohne verziert werden. Einfache Schokobohnen tun’s auch.
Nun kommt das Baiser-Sahne-Ungeheuer in den Tiefkühler, bis es durchgefroren ist. Eine halbe Stunde vor Verzehr sollte man das Schätzchen herausnehmen und etwas antauen lassen. Es soll schließlich als Halbgefrorenes auf den Tisch.
Für Wissenswertes über die Grillagetorte unbedingt den Link anklicken, da wurde Recherche betrieben. Interessant ist, dass sie ein exakt abgegrenztes Verbreitungsgebiet zu haben scheint. Südlich der (wohl nur Sprachgeographiefreaks vertrauten) Benrather Linie, da, wo sich vor etwa eineinhalb Jahrtausenden die zweite, hochdeutsche Lautverschiebung nur unvollständig ausgeprägt hat, kommt sie nicht vor.
Über ihren Ursprung kann man nur rätseln. Mancher munkelt, sie sei von norditalienischen Bäckern eingeschleppt worden. Das passt zu meinem ligurischen Erweckungserlebnis. Schade, dass der Link Rettet die Grillagetorte zurzeit nicht funktioniert.
Der von edekaner betreuten Rheinlandreise würde ohne Grillagetorte etwas fehlen. Foto gibt es leider keins, beim letzten Backen war noch kein Fotoapparat dabei.
Nachtrag: Jetzt gibt es auch Fotos.
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3. April 2011 at 13:54
Man kann auch mit der Grillagetorte ganz alleine eine vorzügliche Völlerei betreiben.
3. April 2011 at 20:51
Das ist wohl wahr.
3. April 2011 at 15:24
Soviel Sahne verträgt kein schwarzer Vogel.
3. April 2011 at 20:52
Ich hätte da auch Angst vor den weißen Sprenkeln im Gefieder.
3. April 2011 at 15:31
Mein Lieblingssatz: »Dann macht man drei Sorten Sahne.«
Man wünscht sich auf die richtige Seite der Benrather Linie!
3. April 2011 at 22:14
Unbedingt, liebe Lakritze, unbedingt. Oder weit weg, mit einem überlieferten Rezept in der Hand.
3. April 2011 at 18:12
Ich dachte, jetzt käm endlich mal ein Rezept für Kotlett-Torte :o)
3. April 2011 at 19:14
Das wäre von mir tatsächlich eher zu erwarten.
3. April 2011 at 19:05
So etwas stellst Du selber her? Hut ab. Ich werde schon beim Lesen ganz kribbelig.
3. April 2011 at 19:15
Aber es ist doch nur Sahne und Eiweiß schlagen. Na gut, Baiser backen ist schon ein bisschen aufregend. Immer wieder.
4. April 2011 at 07:46
Mir gelingt Baiser meist prächtig — für ein, zwei Stunden. Was dann nicht gegessen ist, verflüssigt sich. Was mach ich falsch?
4. April 2011 at 10:08
Versuch’s mal mit Einfrieren. ;-)
3. April 2011 at 22:43
Ach, jetzt habe ich den ellenlangen Kommentar zur Torte bei der ungarischen Birnenfrau hinterlassen. Diese Erinnerungen, watt herrlich!
3. April 2011 at 22:57
Wenn Du mir auch noch sagst, wer die Birnenfrau ist, kann ich Deinen ellenlangen Kommentar nachlesen. :-)
4. April 2011 at 07:49
Ich glaube, das ist Vilmos! ;))
4. April 2011 at 11:35
Gefunden, es ist tatsächlich Vilmoskörte-Birnenschnaps. Eine hübsche Geschichte, liebe Jutta. Ich fasse kurz zusammen:
„Tränen statt Sahne – Hochzeitsdrama in Burscheid. Ganz in weiß sollte die Hochzeitstorte den letzten Glanzpunkt setzen. Eine gnadenlose Maisonne verhinderte ihren Auftritt. Wer vor Scham tiefer im Boden versank angesichts des stolz präsentierten Matschgebirges, die Brautmutter, die samt der beim Aufbruch noch intakten Grillagetorte aus dem benachbarten Mönchengladbach-Rheydt angereist war, oder die in Tränen aufgelöste Braut, ist nicht zu entscheiden.“
4. April 2011 at 11:51
Ach so, mein Grillagetortenrezept stammt ebenfalls aus Mönchengladbach-Rheydt.
5. April 2011 at 06:22
@Afra: Ganz so dramatisch war es nicht – deine Zusammenfassung liest sich aber sehr spannend. Mir ist sogar erst jetzt, aufgrund dieses Grillagetorten-Beitrages, aufgefallen, dass mein Mann und ich gar keine „richtige“ Hochzeitstorte hatten.
Meine Mutter hatte bereits Wochen vor der Hochzeit mit der Koordination des Tortenprojektes begonnen, irgendwann konnten wir es nicht mehr hören. Ich stand am Tag meiner Trauung morgens noch in der Diele der neuen Wohnung und strich Fußleisten. Das waren damals die Themen, die mich mehr tangierten als eine Torte. Nun ja, seit dieser Zeit bekommen mein Mann und ich schlagmäßig Lachanfälle, wenn wieder einmal „Grillaschtortö“ thematisiert wird.
Und das Rezept ist tatsächlich aus MG-RY? Also, das ist ja wirklich ein Ding. Ich habe keinen Bruder, sonst würde ich ins Grübeln geraten. Meine Mutter frage ich nach dem Rezept, sie wird sich bestimmt sehr darüber freuen.
Ansonsten bin ich auch der Meinung, Erinnerungen hin oder her, dass die Rettung der Grillagetorte ein ungemein wichtiges Projekt ist.
„Onjeschwedde“ ist ja auch so eine Spezialität, die nur regional bekannt ist. Der soll sogar eine Rheydter Erfindung sein. Ich habe im letzten Jahr versucht, an dieses „onjeschwedde“ Getreide zu kommen – ohne Erfolg. Ich will aber auf jeden Fall in diesem Jahr nochmal nachhaken. Ein Rezept für das Brot ist jedenfalls vorhanden.
Tschöh mit Ö
5. April 2011 at 10:48
Ein hochinteressantes Backprojekt! Musste ich gleich googeln. Es scheint mir eine Art deftiger Rosinenstuten. Glaubst Du wirklich, dass die heutigen Bäcker noch diesen „ungeschwitzten Weizen“ für ihr Onjeschwedde verwenden? (Virtuell) gefunden habe ich es im Angebot der Hannenbäckerei, einer MG-weit operierenden Kette, von der ich nicht weiß, was man davon halten soll. Auf jeden Fall backen sie ein hervorragendes original rheinisches Schwarzbrot, besser als das von Heinemann, auch so ein nicht leicht zu findendes Kulturgut.
4. April 2011 at 06:59
Du Retterin! Ich werde gleich mal bei Heinz L. nachfragen, warum sein Rettungsprojekt offline ist…
4. April 2011 at 10:09
Vielleicht lässt er sich ja erweichen.
4. April 2011 at 07:08
3 Sorten Sahne! Himmel, da soll nochmal irgendjemand behaupten ICH würde aus dem Vollen schöpfen!
Und dann sowas im Rheinland, Du siehst mich zutiefst verblüfft.
Ich dachte eigentlich, nach Genuss dieses Leichtgewichtes könnte man noch einen Merengue (was übrigens Baiser heißt und mich rätseln lässt, was das mit dem Tanz zu tun haben könnte) tanzen, aber da würden die Rheinländer schön gucken!
4. April 2011 at 10:14
Hab gerade an anderer Stelle von Deiner Mascarpone-pur-plus-mindestens-zwei-Dutzend-Eier-Fastenspeise gelesen. Sahne ist was ganz Leichtes im Vergleich zu Mascarpone.
4. April 2011 at 11:44
Ja, es kommt immer nur auf die Relation an, nicht? Mir scheint die Grillagetorte eher ein Schwergewicht. Ich würde es aber auf einen Versuch (des Probierens) ankommen lassen.
4. April 2011 at 13:54
Auf der zur Zeit geschlossenen http://www.rettet-die-grillagetorte.de stand übrigens die gesamte Geschichte zur Grillage. Peter Honnen hat sie mir zur Verfügung gestellt. Man findet sie übrigens auch in dem Buch „Alles Kokolores“, sogar mit Hinweis auf rettet-die-grillagetorte.de
Ich werde die vielleicht wieder starten, nachdem ich einige Fotos und Rezepte entfernt habe. Vielleicht postet ihr dann mal ein paar Rezepte.
4. April 2011 at 14:10
Danke für die Info. Ich glaube, so einige würden sich freuen, wenn die Site wieder online ginge.
4. April 2011 at 14:38
Auch von mir: Danke, Heinz!
7. April 2011 at 14:40
Grillagetorte – oh ja, die ist sowas von Seventies ;-) Gab’s zum Kaffeetrinken bei Familienfesten, wo abends dann Mettigel, gefüllte Eier, Käsewürfel auf den Tisch kamen, grins…
7. April 2011 at 23:19
Ich hab sie erst viel später kennengelernt, und vom Dekor her scheint sie mir ziemlich elegant und no nonsene. Offenbar wurde sie wirklich zu großen Ereignissen wie Erstkommunion oder Weihnachten aufgetischt.
15. April 2011 at 20:53
Da möchte man direkt reinbeißen. Nochmals Vielen Dank für deine Teilnahme.
3. August 2011 at 19:34
Selbstgemacht?! Boah!
3. August 2011 at 19:54
Das fragst Du nicht im Ernst?! Wenn Du Dir die Deko anschaust, sollte der letzte aufkeimende Zweifel schwinden.
13. März 2013 at 23:26
http://www.rettet-die-grillagetorte.de ist übrigens wieder online und wartet auf Rezepte.
Danke
Heinz
27. August 2013 at 17:42
Hallo Afra, ich bin, nach nur wenigen Reisen nach Ligurien, der festen Überzeugung, das die Köche in den dortigen Gasthäusern, eine geheime Verschwörung betreiben: dort hängen, unauffällig an den Sicherungskästen oder Kühlschranktüren der Küchen unauffällige Strichlisten, für jeden Gast der nach dem Restaurantbesuch still und ergeben platzt, wird ein weiterer Strich hinzugefügt.
Danke für deine wohlwollenden Kommentare auf „thedailychef“ und herzliche Grüße aus dem sonnigen Süden, Luca
27. August 2013 at 18:27
Wenn es dich nicht stört, bekommst du weiterhin meine Erfahrungen als Kommentare zu deinen schönen Posts.
(Ligurien war eine Zeitlang für mich eine zweite Heimat.)
22. August 2014 at 11:10
Wiedervorlage:
http://www.rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/in-den-backstuben-ist-onjeschwedde-zeit-aid-1.4468510
22. August 2014 at 11:38
Dann hoffe ich nur, dass der Mann mir ein Onjeschwedde mitbringt.
22. August 2014 at 12:51
Ich werd ihn auch nochmals erinnern :-)