Das Wort für heute: Dingpfleger
16. September 2009
Der Dingpfleger.
Dingpfleger kann man bisher ausschließlich bei meinem Lieblingsmuseum werden. Es ist gewissermaßen ein Heim für Dinge, das allerdings auf Zwangseinweisung beruht. Welches Ding würde sich schon freiwillig seines Funktionszusammenhangs begeben, um seinen Lebensabend untätig und von allen Seiten begafft im Museum zu verbringen?
Am liebsten würde ich eine Pflegschaft für eine der beiden Zigarettendosen übernehmen: „Manoli privat“ oder das „Problem National“. Die eine ist aber schon vergeben, die andere reserviert, sehr wahrscheinlich von Exrauchern wie mir, schließlich bedarf die Verarbeitung bestimmter Verluste eines ausgeprägten sentimenalen Engagements. Auch der Bakelit-Schalter hat seinen Dingpfleger bereits gefunden und der oft gehandhabte Berliner Steckschlüssel. Meine erste Schreibmaschine, die rote Valentine von Olivetti, ist ebenfalls in guten Händen – nicht meine Valentine, die ruht seit Jahrzehnten auf dem Hängeboden, aber die aus dem Museum der Dinge.
Manche Dingpfleger beneide ich nicht um ihre Schützlinge, wer möchte schon die Verantwortung für einen Nachttopf übernehmen, der einmal ein Stahlhelm war. Wer weiß, wozu der fähig ist, wenn er sich eines Tages auf seine Wurzeln besinnt. Dann schon lieber das Mitropakännchen aus den Transitzügen meiner Fahrten zwischen der selbständigen politischen Einheit Westberlin und dem Freistaat Bayern.
Oder der Handschuhbügel. Nein, nicht der Handschuhbügel, den finde ich nur skurril, und das scheint mir eine schlechte Voraussetzung für ein gutes Verhältnis zwischen Pfleger und Ding. Die Illy-Kaffeedose wird es wohl auch nicht werden, so eine nehme ich täglich in die Hand, das ist Pflegschaft genug. Natürlich ist schon lange kein Illy-Kaffee mehr drin, der ist viel zu teuer, sondern Mocambo mit c in der Goldaufmachung, wenigstens zur Zeit, mal sehen, was noch so alles hineinkommt im Laufe ihres aktiven Lebens.
Vielleicht sollte ich mich für die Kugelwaschmaschine entscheiden. Ich dürfte sie zwar nicht zu ihrer ureigensten Bestimmung reanimieren, sie könnte aber sicher sein, dass ich sie wie kaum jemand zu schätzen weiß. Mit Waschmaschinenabenteuern bzw. dem Wunsch nach einer eigenen Waschmaschine schlägt mich ein fast lebenslanges wechselvolles Schicksal. Ihr Abgeschnittensein von aller Möglichkeit des Waschens hält sich mit meiner Sehnsucht nach einer eigenen, stets zum Waschen bereiten Maschine (ach was, Maschine, Freundin!, Alltagsfreundin!, aber doch auch Maschine, da hilft nichts, da hilft gar nichts) perfekt die Waage. Wenn ich nun aber andererseits bedenke, dass mich diese Pflegschaft ebensoviel kosten würde wie eine täglich, auch sonntags, handfest zu benutzende aus der Weißwarenabteilung eines Second-Hand-Shops, werde ich schon wieder zögerlich.
Ich werde wohl doch noch eine Weile warten, bis das richtige Ding auf dem Pflegschaftsmarkt auftaucht, das einzige, das wahre, das für mich und nur für mich da ist, das auf mich gewartet hat und ich auf es. Ich weiß, es ist irgendwo. Wir müssen uns nur begegnen.
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17. September 2009 at 15:19
Ich finde „Stahlhelme zu Nachttöpfen“ mindestens so gut wie „Schwerter zu Pflugscharen“. Besser kann der Konversionsgedanke nicht manifestiert werden.
PS. Der Macintosh Classic war schon in festen Händen.
17. September 2009 at 15:46
Ich muss mich korrigieren, der Classic steht nicht als Ding zur Verfügung, schon vergeben ist das „Macintosh Powerbook 150“.
17. September 2009 at 15:28
Ich befürchte, dafür hängst Du zu sehr an den lebendigen Dingen oder jenen, in denen noch ein Hauch von Hoffnung darauf steckt.
17. September 2009 at 15:36
Das hast Du schön geschrieben, das mit dem Hoffnungshauch.
17. September 2009 at 21:25
Wie wäre es denn mit dem Tischventilator ?
17. September 2009 at 21:48
Als echtes Designerstück hat der natürlich auch seinen Preis. Mir läge schon wieder eher die Antenne vom Kasernengelände. Aber, auch die ist schon vergeben.
17. September 2009 at 21:43
Dingpfleger müssen aber auch Heger und Jäger sein, denn Dinge wollen auch gejätet werden, sonst werden sie frech, wuseln, wollmäuseln, gruseln, werden dick, vermehren sich, quellen aus Schubladen und Kammern, Ecken und Winkeln, Nischen und Nachtkästen, naschen an Wohnräumen, verlassen Abseiten, Dachböden und Keller, kriechen dir unters Bett, in den Schrank, aufs Fensterbrett, sie werden immer mehr und mehr wie der Brei im Märchentopf, sie müllen im Haus und tollen im Flur, sie dengeln, sie dingeln, sie quengeln, sie machen sich breit, verstauben, hochen und glauben: Den Menschen hab ich bald heraus aus dem Haus! Und dann herrsch ich allein: King Ding!
17. September 2009 at 21:55
Da kennt sich aber einer aus! Und um mich gegen dergleichen zu wappnen, bin ich auf die Idee mit den gezähmten Dingen im Museum verfallen. Da haben dann andere das Problem, die lassen zur Not King Ding durch den brennenden Reifen springen. Oder noch besser: Zur Zeit stehen ein paar Dingzerstörungsmaschinen im Museum. Die machen zwar viel Lärm, aber sie verstehen ihren Job.
17. September 2009 at 21:58
Der Name „Pfleger“ passt doch irgendwie nicht. Die Dinge sind doch nicht krank?
17. September 2009 at 22:10
Aber aus dem Verkehr gezogen, abgeschoben, eingeliefert, unter Kuratel gestellt …
17. September 2009 at 22:12
Eine Frage an die Wortfee; ich habe immer Probleme mit der ontologischen Bestimmung und Benennung einer bestimmten Art von Ding-Kategorie: Mehrheitlich handelt es sich kleinere Dinge, die man eigentlich nicht braucht, die aber „noch zu schade“ zum Wegwerfen sind – noch halbvolle Batterien, Kugelschreiberminen, stumpfe Bleistiftanspitzer, Kabelverbindungen von irgendwas, Klebzettel-Blöckchen, Streichholzbriefchen, Taschenlämpchen, bei denen man bloß mal ein neues Birnchen besorgen müßte, dann gingen sie wiedr; ferner einst von den Kindern mehr oder minder liebevoll gebastelte Lesezeichen oder Grußkarten, alte Tapes, wo man nicht mehr weiß, was drauf ist usw. usf. DIESE Dinge füllen mir ganze Schubladen: Krempel, KrimsKrams, Zeuch… oder wie?
18. September 2009 at 02:02
Die Lesezeichen werden aufbewahrt bis sie unerklärterweise von selbst verschwinden. Die Tapes hörst Du Dir an. Weg kommen: Taschenlämpchen (vergiss es, das Lämpchen besorgst Du nie)stumpfe Bleistiftanspitzer. Unbedingt aufbewahrt werden: Streichholzbriefchen, sofern sie noch Streichhölzer beinhalten, halbvolle Batterien, weil Du eines Tages für sie dankbar sein wirst und Kabelverbindungen, weil irgendetwas auftaucht, sobald Du Dich der zugehörigen Kabelverbindung entledigt hast. Für Kugelschreiberminen habe ich keine Verhaltensmaßregel, aber allzuviel Platz nehmen die nicht weg. Und Du hast eh schon genug Platz geschaffen für neue: Taschenlämpchen, leere Streichholzbriefchen und stumpfe Bleistiftspitzer. Ich glaube , mein Leben gewönne, wenn ich von meinen eigenen guten Ratschlägen profitierte.
18. September 2009 at 06:28
Kannst Du mal für’n Wochende ‚rüberkommen und mit mir meine Kramschubladen sortieren? Bevor ich zum Messi werde, der NICHTS mehr wegwerfen kann?
17. September 2009 at 23:02
Das Problem ist, das Problem habe ich auch. Und solange ich nicht die nötige Distanz zu den Objekten dieser bestimmten Art von Ding-Kategorie habe, fällt mir garantiert nichts dazu ein, außer dass es mit einer Kategorie nicht getan ist.
17. September 2009 at 23:22
Die Frage nach der Ontologie ließ mich nicht ruhn. Hier nun mein Angebot. Nicht der Mülleimer, nein. Kunst! Alles raus aus den Schubladen, sortiert und der Welt präsentiert. Sich treu bleiben und trotzdem aus dem Schneider: Waste not von Song Dong und Zhao Xiangyuan.
Diese Installation war das beeindruckendste, das ich seit langem gesehen habe, ich bin jeden zweiten Tag hingerannt, und die Faszination ließ nicht nach. (Danke nochmal, Kormoran, von dir kam der Tipp.)
17. September 2009 at 23:41
Danke für den chinesischen Tipp! Das ist ein Bröckchen, an dem ich erstmal kauen muß. Bislang kannte ich auf dem Kunstgebiet nur Joseph Beuys und seine (zumindest in meinen Augen!) eitle, selbstmystifizierenden und doofe Art, sein Geraffel & Müll zur magischen Installation zu verklären. (Niederrheinisches Voodo!)
Ich wollte Dir eigentlich zur ausschmückenden Side-Kick-Ornamentierung Deiner Wortpräsentation einen Heidegger-Text über das Ding, das „dingt“, beifügen, aber, umzugshalber im Chaos, hab ich das Buch grad nicht greifbar.
18. September 2009 at 12:06
Nach dem letzten Artikel „spannenlang“ und der Frage der Messbarkeit und Vergleichbarkeit sollte es vielleicht die kleine Waage sein (Briefwaage, erstes Objekt in der zweiten Reihe der Übersicht, „Umschaltwaage Hema“).
Für dieses Objekt sprechen zwei Begriffe: Balance und Eleganz.
„Balance“, das wäre doch auch ein gutes Wort des Tages. Hier, bei dieser Waage, ist es die Balance zwischen dem zu wiegenden Objekt und dem Gegengewicht. Und dann die Art, wie die Kräfte umgelenkt werden und wie aus der vertikalen Bewegung beim Auflegen eines Objektes eine Rotationsbewegung des Zeigers entsteht. Das ist mechanische Eleganz pur. Ach, „Eleganz“ – schon wieder ein Wort für einen Tag.
Afra, Du hast doch einen Sinn für elegante Technik.
Nimm die Waage!
PS: Was mich wundert, ist daß sich noch keiner als Dingpfleger für den Schneewittchensarg gemeldet hat. Der gilt bei vielen doch als Kultobjekt. Liegt vielleicht an den gefragten 200€ per annum — so groß ist die Zuneigung dann eben doch nicht.
20. September 2009 at 01:55
Jetzt weiß ich endlich was ein Dingpfleger ist. Danke für den schönen Beitrag.
20. September 2009 at 12:36
Dingpfleger ist doch mal was anderes als Tierpfleger oder das Pflegepersonal für die Menschen. Dinge beißen nicht und jammern nicht rum.
Man kann sich im Museum der Dinge auch ein Ding aussuchen, das man pflegen möchte. Kommt vorbei und schaut, ob was dabei ist.
21. September 2009 at 22:26
Ja dann! Da wird sich doch was finden lassen.
21. September 2009 at 19:12
Meine Empfehlung für das wahre Ding für Afra ist „die Buchstütze“ oder eine „Leselotte“.
21. September 2009 at 22:28
Wenn du mich vor diese Wahl stellst: Ich nehm die L(i)eselotte. Obwohl, erstmal muss ich doch schaun, wie sie aussieht.
22. September 2009 at 16:51
Das finde ich ja jetzt erst –! Kein Ding ohne Wort, kein Wort ohne einen, der’s sagt, und schon wären wir wieder bei Geschichten.
Das einzige (?) saarländische Ding wird anscheinend schon gepflegt.
16. Januar 2010 at 11:30
Saarländisch? Ein Ding? Welches?
6. Januar 2010 at 00:58
Melde gehorsamst: Mission erfüllt! Ich hab mir mit Rich das Museum der Dinge zu Gemüte geführt und bin in der Ausstellung des Bösen gelandet. Herzlichen Dank für die fabelhafte Horizonterweiterung!
16. Januar 2010 at 11:33
Habt Ihr denn auch böse Dinge mitgebracht? Und habt Ihr denn auch die Dingzerstörungsmaschinen des Antoine Zgraggen in Aktion versetzt?